Der Fall Romeike - die Frage an den deutschen Rechtsstaat


Die öffentliche Diskussion zum Fall Romeike wird sehr emotional geführt, lässt aber weitgehend die heutige Schulsituation und das geltende deutsche Recht außen vor. Sie geht damit an wesentlichen, uns alle betreffenden Problemfragen vorbei, nämlich ob die Schulpflicht absolut zwingend ist, einerlei welche Ziele die staatliche Erziehung verfolgt, und ob unsere Rechtsprechung noch an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 III GG).

Die deutsche Pädagogik (Wissensvermittlung und Methodik) wird seit Jahrzehnten von der Ideologie der Emanzipation bestimmt. Erziehungsziel ist die von jeglichen Autoritäten (wie Eltern und Gott) freie Selbstbestimmung des Schülers. Diese ideologische staatliche Erziehungsausrichtung wird in der argumentativen Auseinandersetzung mit Behörden und Gerichten nicht bestritten und beweist sich am klarsten an der staatlichen Sexualerziehung. Diese bietet daher seit ihrer Einführung im Jahre 1968 immer wieder Anlass zu Konflikten, insbesondere zwischen religiös gebundenen Eltern und den Schulen.
Die emanzipatorische Pädagogik insgesamt stößt bei Eltern auf Widerspruch, die – wie Romeikes – diese Ideologie nicht teilen und deren Erziehungsziel nicht der selbstbestimmte, sondern der gottbestimmte Mensch ist, entsprechend unserem christlich-abendländischen Verständnis, das noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts maßgebend war und im Grundgesetz (Präambel) und einigen Länderverfassungen festgeschrieben ist.

Der Konflikt zwischen staatlichem und elterlichem Erziehungsziel ist nach geltendem und alle Behörden bindenden deutschen Recht zu Gunsten des elterlichen Erziehungsrechts entschieden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dem bekannten Kreuzbeschluss festgestellt:

„Im Verein mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiert, umfasst Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht der Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die die Eltern für falsch und schädlich halten“ (BVerfGE 93,1/17).

Diese Sentenz ist noch heute gültig, da sie vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht widerrufen ist, was nur durch Beschluss beider Senate des Verfassungsgerichts möglich ist, nicht jedoch durch Nichtannahmebeschlüsse. Das Gericht hat damit eine Relation der Schulpflicht von den schulischen Rahmenbedingungen anerkannt. Die Anwendung dieser Rechtsprechung wurde der Familie Romeike verwehrt.

Die emanzipatorische Staatserziehung verletzt das Recht der Eltern auf Sicherstellung ihrer Glaubenserziehung im schulischen Unterricht. Dieses Recht ist in Art. 2 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben und ist in Deutschland unmittelbar geltendes Recht. Art. 2 lautet: 

„Der Staat hat bei der Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgabe das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihrer eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“

Die emanzipatorische Staatserziehung verletzt darüber hinaus die schulische Neutralitätspflicht. Zur Neutralitätspflicht hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt (BVerfG - 2 BvR 1693/04, S.5 u.8):  

"Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden.“

Dieses geltende Recht wurde im Fall Romeike missachtet, ebenso wie in anderen Schulkonfliktfällen, die durch die sich gegenseitig ausschließenden Erziehungsziele von Eltern und Schule entstanden sind.

Die Gerichte haben im Laufe der Jahre Methoden entwickelt, um die Anwendung dieses geltenden Rechts auf Hausschulfälle (und andere entsprechende Fälle) zu vermeiden.

Zu diesen Methoden gehört zum Beispiel, das beanstandete Schulmaterial nicht beizuziehen und dieses auf seine Neutralität zu prüfen. Das Gericht fingiert vielmehr die Neutralität des Materials, da es ja staatlich zugelassen ist, und urteilt, dass dieses angeblich neutrale Unterrichtsmaterial die Eltern nicht in ihrer Glaubenserziehung verletzen kann. Ohne auf den Glaubens- und Gewissenskonflikt der Eltern einzugehen, wird die Verletzung der Religionsfreiheit für zumutbar geurteilt. Weitere Methode ist, zu fingieren, die staatliche Erziehung entspreche der allgemeinen Meinung bzw. dem breiten gesellschaftlichen Konsens und sei deshalb von den Eltern hinzunehmen. Wissenschaftliche Erhebungen gibt es dazu nicht.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2003 die Hausunterrichtung für unerwünscht. Dem Gericht lag eine Verfassungsbeschwerde von Hausschuleltern vor, die aufgrund geltenden Elternrechts die Legalisierung ihrer Hausunterrichtung begehrten. Das Verfassungsgericht nahm diese Beschwerde nicht zur Entscheidung an, beschied aber dennoch die Beschwerde als unbegründet. Ausschlaggebend für das Verfassungsgericht war, dass „die Allgemeinheit ein berechtigtes Interesse daran habe, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten  Parallelgesellschaften entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren“ (BVerfG -1 BvR 436/03 - S.4).

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich mit geltendem Recht nicht  begründen. Das Verfassungsgericht hat hier eine politische Entscheidung getroffen unter Verletzung seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 III GG). Das Gericht hat die elementaren Grund- und Menschenrechte der Eltern (Art. 6 II Satz 1 GG und Art. 4 I und II GG, s. o.) sowie seine eigene bindende Rechtsprechung dazu missachtet.

Das US-Immigrationsgericht knüpft inhaltlich an diese Entscheidung des Verfassungsgerichts an und erkennt Romeikes als Mitglieder der vom Bundesverfassungsgericht als unerwünscht erklärten Gruppe von Hausschuleltern (Parallelgesellschaft) an, gegen die mit Bußgeldern, Zwangsmaßnahmen und Sorgerechtsentzug vorgegangen werden kann. Dass darin das US-Gericht eine Verletzung des elterlichen Erziehungsrechts gesehen hat, kann eigentlich nicht verwundern, entspricht das US-Gericht doch damit der bindenden Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 93,1/17, s. o.).

Im November 2007 entschied der BGH (BGHE XII ZB 41/07), dass Hausunterrichtung Kindeswohlgefährdung sei und zum Sorgerechtsentzug berechtige.

Die Behauptung des BGH, dass Hausunterrichtung Kindeswohlgefährdung sei, widerspricht objektiven Tatsachen.

Alle in- und ausländischen Erfahrungen mit Hausschülern stehen der Behauptung des BGH entgegen. Es sei hier nur an den Fall Dudek erinnert. Die Behauptung des BGH, Hausunterrichtung gefährde das Kindeswohl, steht im krassen Widerspruch zu allen wissenschaftlichen Untersuchungen über Hausschüler. Diese Untersuchungen beweisen, dass Hausschüler bessere kognitive und soziale Kompetenz aufweisen als die Schüler der staatlichen oder privaten Schulen. Der BGH erklärt objektiv Wahres für unwahr und objektiv Unwahres für wahr.

Hausschuleltern flohen – wie Romeikes – mit ihren Kindern ins Ausland, als die unteren Gerichte und Behörden diese nicht-bindende Rechtsprechung des BGH und des BVerfG übernahmen und Sorgerechtsentzugsverfahren betrieben.

Es stellt sich die Frage, wie diese Verletzungen geltenden Rechts durch die deutsche Justiz (und Behörden) zu verstehen sind.

Es kann wohl nicht als abwegig angesehen werden, anzunehmen, dass die neomarxistische Kulturrevolution auch in den höchsten deutschen Gerichten Eingang gefunden hat und die drei Verfassungsrichter nach den Grundnormen des herrschaftsfreien Diskurses das „Recht“ gefunden haben, dass Hausschulfamilien eine unerwünschte Parallelgesellschaft bildeten, die es zu vermeiden gilt. Auf die gleiche Weise könnten die BGH-Richter „die Wahrheit“ gefunden haben, dass Hausunterrichtung Kindeswohlgefährdung sei.

Kann (muss?) diese deutsche Gerichtspraxis als Emanzipation von der Autorität des Gesetzes (des Rechtsstaats) angesehen werden? Zu den Zielen der 1968 öffentlich begonnenen neomarxistischen Kulturrevolution gehört – neben der Auflösung der Familie, der Ablösung gewissensmäßiger Bindungen –, einen Staat ohne eine verfasste Rechtsordnung zu schaffen. Die Mißachtung des Gesetzes führt zum Verlust des Rechtsstaats.

Ein hervorragender Kenner dieser Kulturrevolution prognostiziert einem Staat ohne Gott und Religion, wie ihn die Kulturrevolutionäre hervorbringen wollen, dass diesen nur „Zwang, Macht und Staatsterror zusammenhält, wie das Dritte Reich und die UdSSR gezeigt haben“.    


Schulunterricht zu Hause e.V. (SchuzH)
Armin Eckermann          Datum: 02.02.2010