Sexistischer Trivialstil ist Schüler-Pflichtlektüre in der Bildungsrepublik Deutschland (25.08.2010)

Was Schüler heute lesen müssen und Lehrer vermitteln sollen - Deutschstunde 2010: "Viel Saft im Sack und eine Möse von Dior"

(MEDRUM) Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, ist irritiert, daß das Buch "Selam Berlin" in Niedersachsen als Pflichtlektüre für die Integrierte Gesamtschule festgelegt worden ist.  Die Textanalyse eines Philologen ergab, daß die Rhetorik des Buches mit sexistischer Primitivlektüre vergleichbar ist, die typische Zeichen eines auf Effekthascherei angelegten Trivialstiles aufweist.

Deutschlehrer in Niedersachsen müssen sich im Schuljahr 2010/2011 mit dem Buch "Selam Berlin" von Yadé Karas befassen, da es zur Pflichtlektüre der zehnten Klassen für die Integrierte Gesamtschule gemacht wurde und demzufolge im Deutschunterricht behandelt werden muß. In der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) stellte ein Deutschlehrer am 15.08.10 das Ergebnis seiner Analyse eines Buches vor, in dem der Ich-Erzähler Hasan präsentiert wird als "ein Kreuzberger, der sich voller Neugier und Saft im Sack auf das Leben stürzte". In seiner Erlebniswelt dominieren wiederkehrend Dinge wie der Anblick einer Bauchtänzerin, die am Ende ihres Auftritts so triumphierend lächelt, „als wäre ihre Möse von Dior". Die NOZ sprach in der Einleitung zur Präsentation der nachfolgenden Analyse eine "eindringliche Warnung" aus: "Für Personen, die sich an diesem vulgären Vokabular stören, und für Kinder ist der Beitrag auf keinen Fall geeignet." Der Philologe kam zu einem eindeutigen und unmißerständlich kritischen Ergebnis; ein Auszug aus seiner Beurteilung:

Nach dem ersten Umblättern beginnt man zu erahnen, auf was die Exposition den Leser vorbereiten will: Ein zentrales Thema des Romans wird von einer Sache handeln, die weder im Klappentext erwähnt noch als verbindlicher Unterrichtsaspekt gedacht ist - Sex.

Die Übereinstimmung bis ins Wörtliche offenbart, wie hier Klischees abgespult werden, mit dem Ziel der Effekthascherei. Ein typisches Zeichen von Trivialstil. ... Warum sollten die Schüler sich auf die eher kopflastigen Dialoge konzentrieren, in denen sich die Figuren aus Ost und West über Leben mit der neu gewonnenen Freiheit auslassen, wenn es über mehrere Kapitel hin in erster Linie darum geht, wie sich Hasan mit seiner Cora fetzt, man Silbe für Silbe verfolgen kann, wie er, vor Eifersucht platzend, mit ansehen muss, wie sie andere „begrapscht", diesen „Vladimir, am Schwanz ..."? ... Was soll da noch am Verhalten der langweiligen „Ostleute" Interesse wecken, die laut Hasan sowieso „noch viel lernen müssen", wenn es eigentlich doch nur um „Simones Titten" geht? ...

Frauen erscheinen in Karas Berlin ausschließlich aus Männersicht und werden stereotyp gehandelt, entweder gelten sie als attraktiv/klug und damit sexuell begehrenswert oder als hässlich/dumm und werden abgewertet. ...

Männer sind in Karas Berlin entweder hässliche Schlappschwänze oder omnipotente Adonistypen, wie z. B. Adem, dem „die Schöpfung alles gegeben hatte, um Frauen flachzulegen." ... „ihm stand eine Karriere bevor - der Ficker von Berlin. ... Es war eine Frage der Zeit, wann sie (die Mädels) ... ihm ihre Telefonnummer zustecken würden, während der Parties aufs Klo gingen - einen Quickie, einen blasen - Adem versprühte Sex ... er hatte auch den Geruch dafür."

Wer nun meint, hier solle mit dem moralischen Zeigefinger gedroht werden, hat nicht begriffen, worum es geht. Jedem Deutschlehrer muss heutzutage klar sein, dass spätestens seit der literarischen Erforschung letzter „Feuchtgebiete" und dem „Axolotl Roadkill" die Grenzen zwischen Pornografie und Poesie gefallen sind. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob man die Reflexion darüber zur verbindlichen Aufgabe für Schüler der Mittelstufe machen sollte, in einem Alter, in dem man zwischen Pubertät und Erwachsenwerden schwankend äußerst sensibel auf alle Reize reagiert, die aufs Intime zielen. Wie so etwas vollkommen in die falsche Richtung driften kann, ist erst vor Kurzem auf der berüchtigten Jugendfreizeit auf Ameland ans Licht gekommen. Gerade in einer Zeit, in der die digitalen Medien die Jugend offenkundig zwanghaft sexualisieren, sollte in den erzieherischen Institutionen besonders darauf geachtet werden, hier nicht ins gleiche Horn zu stoßen.

Soll heißen: Nicht alles, was auf dem Buchmarkt freizügig floated, muss auch für den Deutschunterricht geeignet sein.

Wie das Internetportal "bildungsklick.de" berichtete (→ Protest gegen "pornografische" Pflichtlektüre), hat sich Heinz-Peter Meidinger als Vorsitzender des Philologenverbands von der Bildungsentscheidung des Landes Niedersachsen distanziert. Eine so umstrittene Lektüre wie 'Selam Berlin' verpflichtend zu machen und Schüler mit dem Roman zu konfrontieren, entspreche nicht dem Bildungsauftrag der Schule, hat Meidinger laut "bildungssklick" gegenüber der NOZ erklärt. Meidinger weiter: "Ich würde das Buch aufgrund bestimmter Passagen nicht als verpflichtenden Lehrstoff vorschreiben." Die Tatsache, daß "Selam Berlin" 2004 mit dem Deutschen Bücherpreis für das beste Debüt ausgezeichnet wurde, ist demnach noch lange keine Gewähr, daß die literarische Qualität eine Behandlung im Deutschunterricht auch nur empfehlenswert erscheinen lässt.

Das zuständige Ministerium scheint sich seiner fragwürdigen Entscheidung nicht bewußt zu sein. Eine Sprecherin des niedersächsischen Kultusministerium soll der NOZ erklärt haben, im Ministerium seien bisher keine Klagen über das Buch zu Ohren gekommen. Diese ministerielle Reaktion dürfte keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage des Deutschlehrers geben, der in seiner Analyse feststellte: "Überhaupt stellt sich die Frage, wie sich das curriculare Gremium den Umgang mit dem sich in den Vordergrund drängenden erotischen Motiven vorgestellt hat. Oder wurden diese schlicht übersehen? Eigentlich unvorstellbar ... "


Quelle: MEDRUM - Christliches Informationsforum www.medrum.de