SchuzH-Info zum Buch "Isch geh Schulhof" von Philipp Möller

SchuzH-Info: „Schockierende Erlebnisse von der Bildungsfront aus erster Hand“

so beurteilt Stefan Aust, Herausgeber der Zeitung „Die Welt“, das Buch „Isch geh Schulhof“ des Diplom-Pädagogen Philipp Möller (Jahrgang 1980). Möller arbeitete zwei Jahre als Lehrer, Quereinsteiger, an einer Grundschule in Berlin, die die Klassen 1 bis 6 umfasst.

SchuzH greift dieses Buch (erschienen 2013) auf, weil es offenbar authentisch und beispielhaft den Schulalltag in einer durchschnittlichen Schule (S. 200) in der Bundeshauptstadt schildert und zeigt, wie der Staat seinen Bildungsauftrag nicht erfüllt und das Kindeswohl verletzt und unserer Gesellschaft schadet.

Möller ist nach seinen „Erfahrungen und den Erzählungen von Lehrern anderer Schulen tief bestürzt über das dramatische Ausmaß unserer Bildungskatastrophe“ (S. 354). Mit der schonungslosen Beschreibung der schulischen Realität möchte er einen lautstarken Warnruf abgeben: „Wenn wir der Bildung nicht schnellstens eine deutlich höhere Priorität einräumen, werden wir vermutlich bald alle unter den Folgen der steigenden Bildungsarmut leiden. Und dabei ist es nicht nur mangelnde Bildung, sondern auch emotionale Armut, die schon jetzt für ein kühles soziales Klima sorgt. Wenn es an den Schulen so weitergeht wie bisher, droht uns eine geistige und emotionale Eiszeit“ (S. 354/355).

Zu seiner Beschreibung der schulischen Realität zählt nicht nur der unzumutbare baulich desolate Zustand der Schulen und Klassenzimmer („Dreckloch“, in das Möller sein Kind nicht schicken wollte (S. 117), überlaufende und stinkende Toiletten (S.198)), sondern insbesondere die überforderten, ausgebrannten Lehrer, das „bestürzende Sozialverhalten“ der Schüler (S. 55), verwahrloste und misshandelte Kinder, ADHS-Kinder, Kinder, die „von Anfang an keine Chance auf eine emotional gesunde Entwicklung haben“, weil sie den Rückhalt eines stabilen – das heißt für Möller – liebevollen und interessierten Elternhauses nicht erfahren (S.73). Und zu dieser schulischen Realität gehört auch vor allem „unser Schulsystem, von dem sich ohne weiteres behaupten lässt, dass Kinder t r o t z Schule etwas lernen – nur eben meistens außerhalb“ (S. 194).

Im Deutschunterricht der 6. Klasse stellt er fest, dass nur wenige Schüler Texte lesen können und davon wiederum nur einige diese auch verstehen. Ähnliches erlebte Möller in der 4. Klasse beim Einmaleins. Zum eigentlichen Unterrichten komme er, so Möller, selten; „stattdessen leiste ich eher Nachhilfe in den Grundregeln des friedlichen Zusammenlebens“ (S. 55). „Krawallkinder, fehlende Hausaufgaben, grottenschlechte Testergebnisse, ständige Streitereien, fortgeschrittene Fälle von Mobbing, die Dauerbelastung durch … bodenlose Frechheiten …“, schaffen die Lehrer (S.61).

Ein Schüler z.B. stellte sich Möller so vor (S. 28): „Also ich störe immer den Unterricht, mache nie Hausaufgaben, ich verprügele andere Kinder – auch im Unterricht – und ich verspreche dir, dass ich dich noch zum Ausrasten bringe.“ Er nennt Möller, seinen Mathematiklehrer, „A...loch“ (S. 28) „W...ser“ und „Idiot“ (S. 30) und den Unterricht nennt er „Sch...matheunterricht“ (ebd.). Ein Vokabular, an dem keiner mehr groß Anstoß nimmt. Die üblichen Maßnahmen greifen nicht bei ihm, wie er seinen Mathematiklehrer gleich belehrte (S.29): „Ich bin schon alle Grundschulen im Bezirk durch. Mich nimmt keiner mehr!“

Mit dem Umbau der Schule in eine „Reformschule“ – Ganztagsschule von der Grundschule bis zum Abitur unter Einbeziehung der Schüler mit Förderbedarf (Sonderschüler) – soll es besser werden. „Mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit durch längeres gemeinsames Lernen und eine optimale Förderung der individuellen Fähigkeiten aller Schülerinnen und Schüler soll gewährleistet werden“ (S.189). Möller meint, die Schulen seien davon derzeit „Lichtjahre“ entfernt (ebd). Möllers Buch beweist dies mit dem unvorstellbaren tagtäglichen Nervenkrieg für Schüler und Lehrer im Klassenzimmer, im Pausenhof und in der Turnhalle. Hat nicht der Staat seit Jahrzehnten eben dasselbe, Chancengleichheit und Gerechtigkeit und eine optimale Förderung der individuellen Fähigkeiten aller Schülerinnen und Schüler, umzusetzen behauptet? Ob Ganztagsschulen und Inklusion der Misere am Bildungsort Schule Abhilfe schaffen, ist mehr als fraglich. Möller zitiert eine Lehrerin mit mehr als dreißigjähriger Berufserfahrung, dass alle Reformen letztlich nichts gebracht haben (S.190). Gemessen an dem Wissen und dem sozialen Verhalten der Schüler heute wäre es wohl realistischer zu sagen, die Reformen in den letzten 30 Jahren haben die Bildungskatastrophe begünstigt.

Zur Behebung der derzeitigen Missstände in den Schulen müsse sich der Staat, so Möller, von dem falschen Menschenbild des Psychologen John B. Watson trennen, das der staatlichen Bildung zugrunde liege, wonach jedes Kind zu einem Spezialisten in jedem beliebigen Fachgebiet erzogen werden könne „ohne Rücksicht auf die individuellen Begabungen, Neigungen und Fähigkeiten.“ „Diesem Unsinn entsprechend“, so Möller, „gestalte sich auch der Aufbau unseres Schulsystems. ... Auch die Vermutung, Kinder im gleichen Alter würden sich auf gleichen Entwicklungsstufen befinden, geht aus diesem falschen Menschenbild hervor“ (S.193).

Als weiteren Grund für die Erfolglosigkeit der staatlichen Bildung nennt Möller die Ignoranz des Staates den Ergebnissen der Hirnforschung gegenüber. „Die Idee, alle Kinder einer Klasse wären um acht Uhr motiviert, Deutsch, und um zehn Uhr gierig darauf, Mathe zu lernen, entspringt einem Verständnis für die menschliche Natur, das spätestens seit den bahnbrechenden Erkenntnissen der Hirnforschung vollkommen überholt ist“ (S.192). Zu dieser Erkenntnis gehöre auch, so Möller, dass Lernen am besten dann stattfindet, „wenn der Lernende Freude oder sogar Begeisterung empfindet“ (S.217). Aber wie soll es dazu kommen? „Ständige Prügeleien, sogar Handgreiflichkeiten gegenüber Lehrern und permanente Unruhe stellen den Unterrichtstag dar. Das Leistungsniveau ist unterirdisch, und in vielen Klassen findet nicht das statt, was die Bezeichnung Unterricht verdient“ (S. 199).

Möller weist auch auf Untersuchungen über die Kreativität von Kindern hin, die gezeigt hätten, „dass die Bereitschaft, über bestimmte Konventionen hinaus zu denken, mit jedem Jahr in der Schule abnimmt“, ebenso wie die Neugier, den er als „leistungsstarken Motor für Entwicklung und Lernerfolg… “ bezeichnet (S. 194).

Aller ideologischen Staatserziehung zum Trotz fordert Möller als freiheitlich denkender, die Menschenrechte schätzender Lehrer und Bürger für die Schüler (S.358): „Wir müssen ihnen … nicht beibringen, was sie denken sollen, sondern sie lehren, wie selbständiges Denken funktioniert.“

Möller selbst ist ein Beispiel dafür, wie schwer selbständiges Denken in einer Gesellschaft zu erlangen und zu bewahren ist, die unter dem Diktat der political correctness lebt und dabei meint, sie lebe in Freiheit. Ein Beispiel aus Möllers Buch (S. 227 f): Die Klasse befindet sich mit Möller bei einem Ausflug auf dem Gärtnerplatz in Berlin. Möller erklärt seinen Schülern, dass es sich um Berlins berühmtesten Schwulenkiez handele. Die Schüler reagieren damit, was ihnen ihre Eltern beigebracht haben, dass Schwulheit von Gott verboten sei, und sie begründen dies damit, dass Adam und Eva auch nicht schwul gewesen seien, „sonst würde es uns jetzt nicht geben“. Möllers Reaktion: „Na, herzlichen Glückwunsch: Religiös bedingte Intoleranz in der sechsten Klasse! Ich bin kurz davor, den Ausflug abzubrechen. … Ich stehe mit offenem Mund vor der Klasse und staune. Wie schafft man es bloß, Menschen von einem solchen Unsinn zu überzeugen? Ich dachte immer, das funktioniert nur bei Kleinkindern, denn die sind nun einmal darauf angewiesen, uns Erwachsenen jeden Quatsch abzukaufen“. Möller klärt die Kinder auf: „Adam und Eva haben nie existiert. Das ist nur ein Märchen, so wie Hänsel und Gretel oder Harry Potter.“ … „Nein, meine Entrüstung über diese Haltung verdirbt mir jeglichen Spaß an der Desillusion. Mir reicht's. Strafspaziergang durch den Kiez... .“ – Möller regt damit nicht zum selbständigen Denken an, sondern setzt der angeblichen, religiös bedingten Intoleranz der Schüler seine der political correctness entsprechende Intoleranz entgegen.

Wen wundert es da, wenn Eltern die Zulassung von Hausunterrichtung (Lernen in Elternverantwortung) in Deutschland fordern, wie sie in den meisten Ländern praktiziert werden kann?!


Datum: 08.07.2014
Verfasser: G. Eckermann
Schulunterricht zu Hause e.V.
A. Eckermann