NACHRICHTEN

Prozessschlappe für Boykotteure

Kinder bibeltreuer Christen müssen zur Schule

Jochen Leffers

5. November 2003

Das hessische Ehepaar Bauer will eine "keusche und reine Erziehung" und wehrt sich gegen Sexualkunde und Zügellosigkeit in der Schule. Ihre fünf Kinder müssen die streng religiösen Eltern trotzdem zum Unterricht schicken: Die Schulpflicht gilt für alle, entschied das Landgericht Gießen.

Vor dem Landgericht Gießen endete am Mittwochnachmittag der Prozess gegen Michael und Sigrid Bauer, die aus religiösen Gründen ihre Kinder seit zwei Jahren nicht mehr zu einer öffentlichen Schule schicken. Fünf der insgesamt acht Kinder im Alter von zehn Monaten bis 16 Jahren sind schulpflichtig - und auch durch Heimunterricht können die Eltern das Schulgesetz nicht umgehen, entschied jetzt das Landgericht Gießen.

Die Richterin musste zwischen Schulpflicht und Glaubensfreiheit abwägen und erlegte den Eltern im Urteil eine Geldbuße von 400 Euro auf. Sollten sie in den nächsten zwei Jahren erneut gegen das Schulgesetz verstoßen, kämen insgesamt 1600 Euro Geldstrafe hinzu.

"Staatliche Schule ist unausweichlich", sagte die Richterin Gertraud Brühl in ihrer Urteilsbegründung, "die Schule verdirbt Kinder nicht in der Weise, wie die Angeklagten es sehen." Die Eltern könnten sich bei der Verweigerung der Schulpflicht nicht auf die grundgesetzlich garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen und handelten daher gesetzwidrig. Das Gericht folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft; die am Mittwoch ausgesprochene Verwarnung ist allerdings die mildeste Sanktion im Strafgesetzbuch.

[b]Biologie-Bücher auf sexuelle Freizügigkeit geprüft[/b]

Der Ausgang war nach dem Verlauf des letzten Verhandlungstages nicht überraschend: Die Verteidigung wollte den Prozess mit einer Flut von Anträgen ins Stocken bringen, scheiterte damit aber. Mit vier von fünf Beweisanträgen blitzte die Verteidigerin der Elternpaares ab. Sie hatte belegen wollen, dass staatliche Schulen zu sexueller Freizügigkeit erziehen, sich mit Zauberei und buddhistischen Entspannungstherapien befassen und statt der Schöpfungsgeschichte ausschließlich die Evolutionslehre unterrichten.

Nach einer Begutachtung von Biologiebüchern und der Befragung von Sachverständigen war das Gericht indes zu keinen neuen Erkenntnissen gekommen und entschied im Sinne von Oberstaatsanwalt Volker Uhl, der gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hatte.

Zunächst hatte das Amtsgericht Alsfeld den Schulboykott der Familie Bauer im April 2003 noch überraschend anders beurteilt. Die Eltern hätten ihre Kinder zwar "wissentlich und wollentlich" der Schulpflicht entzogen, aber dennoch nicht schuldhaft gehandelt, heißt es im Alsfelder Urteil. Der Richter konstatierte eine "Pflichtenkollision" zwischen gesetzlicher Schulpflicht einerseits und starkem Glauben andererseits. Die Angeklagten hätten nach ihrer Überzeugung "zum Besten der Kinder" gehandelt, das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit lasse in diesem Fall eine Bestrafung nicht zu.

[b]"Die Schule tritt Schamgefühle der Kinder mit Füßen"[/b]

Familienvater Michael Bauer argumentierte auch vor dem Landgericht Gießen bis zuletzt, dass christliche Erziehungsgrundsätze wie Schamhaftigkeit und Gehorsam gegenüber den Eltern von öffentlichen Schulen "unterwandert" würden. "Das durchzieht das ganze Schulsystem. Wenn wir uns mit fremden Göttern beschäftigen, dann hat das Konsequenzen", sagte der Vater.

Er und seine Frau hätten versucht, ihre acht Kinder "keusch und rein zu erziehen, wie es die Bibel vorgibt". Die Schule, so Bauer, habe die Schamgefühle der Kinder mit Füßen getreten und ihren Glauben verletzt. Daher habe er sich nach sieben Jahren entschlossen, die Kinder aus der Schule zu nehmen: "Wir wollen ihnen das Beste bieten, das wir haben."

Schon das Ausmalen von buddhistischen Mandalas, in vielen Kindergärten und Schulen als Konzentrationsübung eingesetzt, sei aus christlicher Sicht problematisch, ergänzte seine Verteidigerin Gabriele Eckermann. Die Eheleute seien "keine Rebellen gegen die Rechtsordnung". Aber das Grundgesetz garantiere Gewissensfreheit und Erziehungsrecht der Eltern: "Wenn sie die Kinder in die Schule schicken, verletzen sie jeden Tag Gottes Gebot." Ob die Angeklagten beim Oberlandesgericht in Frankfurt Revision einlegen wollen, ließen sie am Mittwoch noch offen.

[b]Richterin sieht keine Indoktrination[/b]

Die Richterin konnte keine "unerlaubte Indoktrination" der Kinder erkennen. Dass etwa die Evolutionstheorie gelehrt werde, sei nicht zu beanstanden, sagte die Richterin. Und das Konzept der Sexualkunde basiere auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens zur sexuellen Selbstbestimmung - auch wenn der Unterricht teils "hart grenzwertige Beispiele" aufgreife: "Die Schulwirklichkeit entspricht dem, was Kinder tagtäglich erleben."

Debatten um Konflikte zwischen Glauben und Schule gab es in den vergangenen Jahren immer wieder in Deutschland. Umstritten waren etwa das Kopftuch-Urteil, die Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder der Prozess zu einem Tischgebet in einem kommunalen Kindergarten. Kontrovers diskutiert wird auch, ob Muslime am Sportunterricht oder Kinder bibelfester Eltern am Sexualkundeunterricht teilnehmen müssen. Für Furore sorgte zudem der Streit um die Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" in Bayern, die ihre Kinder ebenfalls nicht zur Schule schickt.

Ganz allein sind die Bauers mit ihrem Schulboykott nicht: Bundesweit würden etwa 40 bis 80 Kinder aus religiösen Gründen nicht in den Unterricht geschickt, schätzt Andreas Fincke von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Er sieht die Schulpflicht als große Errungenschaft: "Damit hat jedes Kind ein Recht auf Schule und Wissen."