Das Bundesverfassungsgericht hat erneut in einem Schulpflichtfall die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Nachstehend finden Sie die Presserklärung des BVerfG und eine Stellungnahme von Schuzh dazu:
A Pressemitteilung Nr. 53/2006 des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2006
Zum Beschluss vom 31. Mai 2006 – 2 BvR 1693/04 –
Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die strafrechtliche Verfolgung
von Verstößen gegen die Schulpflicht aus religiösen Gründen
Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet
sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel
wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die
den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei ihrer Töchter seit Beginn
des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule
ab. Seither werden die Kinder zu Hause unterrichtet. Das Landgericht
sprach gegen die Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht
eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus. Die hiergegen erhobene
Verfassungsbeschwerde hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten
Glaubenshaltung fließen, sind nicht ohne weiteres jenen Sanktionen zu
unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei Fehlen einer
religiösen Motivation vorsieht. Die Pflicht aller öffentlichen
Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren, muss
jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen, wenn
der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen
bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine
seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung als
eine übermäßige, seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion
darstellen würde. Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch
nur als letzter Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt
zwischen staatlichen und religiösen Verhaltensanforderungen
hinzunehmen.
2. Die Festsetzung einer Sanktion gegen die Beschwerdeführer ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die allgemeine Schulpflicht dient dem legitimen Ziel der Durchsetzung
des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht
nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer
selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die
Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die verantwortungsbewusst
an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft
teilhaben. Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und
Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule
in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen
Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des Gebots
staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht
erkennen. Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich
übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im
Rahmen des Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende
Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist ebenfalls nicht zu
beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen
des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der
Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.
Die Beschwerdeführer können nicht beanspruchen, dass ihre Kinder
vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont
bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen
Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt die Verfassung ein solches
Recht nicht. Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende
Möglichkeiten ungenutzt gelassen, den von ihnen empfundenen Konflikt
zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen. Sie haben es
unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnis
um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule vorzutragen. Hinzu kommt,
dass das vollständige Fernhalten ihrer Töchter vom Schulunterricht
unverhältnismäßig war. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt,
weshalb nicht ein Fernbleiben ihrer Kinder nur von bestimmten
Unterrichtseinheiten als milderes Mittel zur Sicherung ihres
elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht
erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von
weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und
Fremdsprachen abzumelden.
B Dazu geben wir nachstehende Stellungnahme ab:
Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes ist ebenso wie der 1. Senat anscheinend nicht mehr gewillt, Eltern und Schüler vor verfassungswidrigen Eingriffen der staatlichen Schulen in ihre Grundrechte zu schützen.
Um seine verfassungsrechtlich nicht nachvollziehbaren Nichtannahmebeschlüsse im Bereich staatlicher und elterlicher Erziehung plausibel zu machen, bedient sich das Verfassungsgericht rechtsstaatlich bedenklicher Mittel.
I. Drei Richter, die über die Annahme der Verfassungsbeschwerde zu entscheiden haben, geben eine relativ ausführliche Begründung, die nur dem Senat zu steht.
Derartige Nichtannahmebegründungen werden von Behörden und Gerichten wie die sie bindende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von sechs bzw acht Richtern übernommen. So wird aus einer Mindermeinung von drei Richtern de facto verbindliches Bundesrecht - unter Umgehung der Judikative und der Legislative - zur Zersetzung der Grundrechte.
II Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidungen unter Mißachtung und Entstellung des Vortrags der Beschwerdeführer. Geltendes Recht wird ignoriert.
Das Verfassungsgericht entstellt den Sach- und Rechtsvortrag der Beschwerdeführer. Es reduziert die vier, von den Beschwerdeführern, dargelegten Unterrichtsinhalte, die ihr elterliches Erziehungsrecht verletzen, auf zwei und macht zu diesen noch irreführende Sachangaben.
Die Beschwerdeführer haben geltend gemacht, durch folgende fächerübergreifende Unterrichtsinhalte in ihrem elterlichen Erziehungsrecht verletzt zu werden:
- indoktrinäre emanzipatorische Sexualerziehung,
- indoktrinäre atheistische Evolutionstheorie,
- NewAge-Praktiken und
- Verächtlichmachung der Eltern.
1. Im Bereich der Sexualerziehung haben sich die Beschwerdeführer nicht gegen die Information über Geschlechtskrankheiten und Verhütungsmittel gewandt, wie das Verfassungsgericht behauptet hat, sondern gegen eine einseitige emanzipatorische staatliche Sexualerziehung, also gegen eine indoktrinäre ideologische Sexualerziehung (S. 15 bis 19 mit diversen Beiblättern der Beschwerdeschrift). Diese vermittelt den Schülern, daß sie ihre Sexualität völlig frei und unabhängig von irgendwelchen Normen ausüben können.
Das Landgericht, gegen dessen Entscheidung die Verfassungsbeschwerde gerichtet ist, hatte diese ideologische indoktrinäre staatliche Sexualerziehung bestätigt, in dem es ausführt, daß die Schule letztlich das vermittelt, was „einem breiten Konsens in der Gesellschaft“ entspricht, nämlich dass jedermann und jede Frau über die eigene Sexualität frei und autonom bestimmen dürfe und dass es dabei keine festgelegten Altersgrenzen gibt.
Das ist bundesweit staatliche Sexualerziehung. Eltern haben darauf keinen Einfluß. Das ist Allgemeinwissen und ist dem Bundesverfassungsgericht aus den vielen Verfassungsbeschwerden von Schülern und Eltern hinreichend bekannt, die es neben der vorliegenden auch nicht zur Entscheidung angenommen hat.
Die Beschwerdeführer haben diese Ohnmacht der Eltern, gegen staatliche Unterrichtsinhalte vorzugehen, in ihrer Tätigkeit als Elternbeirat und Schulkonferenzmitglied sowie in ihrem siebenjährigen Schulkampf erfahren.
1.1 Im Anhang befindet sich Unterrichtsmaterial (Arbeitsblätter und Auszüge aus dem Biologiebuch) zur fächerübergreifenden staatlichen Sexualerziehung in den Fächern Deutsch, Sexualkunde und Biologie, wie es die Kinder der Beschwerdeführer erlebt haben und das dem Verfassungsgericht vorlag.
Diese Beispiele dokumentieren für die Beschwerdeführer die normen- und schamlose staatliche Sexualerziehung, der sie ihre Kinder, entgegen ihrer christlichen Glaubenserziehung, nicht ausliefern können, ohne in einen unüberwindbaren Gewissenskonflikt gebracht zu werden, der ihnen nach der Rechtsordnung nicht zuzumuten ist.
1.2 Das Bundesverfassungsgericht hat das vorgelegte konkrete Unterrichtsmaterial nicht berücksichtigt und seine eigene Rechtsprechung ignoriert.
Im sog. Sexualkundebeschluß hat das Bundesverfassungsgericht im 2. Leitsatz entschieden (BVerfGE 47, 46/47):
„Die Sexualerziehung in der Schule muss für die verschiedenen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sein und allgemein Rücksicht nehmen auf das natürliche Erziehungsrecht der Eltern und auf deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, soweit diese für das Gebiet der Sexualität von Bedeutung sind. Die Schule muss insbesondere jeden Versuch einer Indoktrinierung der Jugendlichen unterlassen.“
Die im Anhang beigefügten Arbeitsblätter aus dem Unterricht der Kinder der Beschwerdeführer beweisen, daß die staatliche Sexualerziehung indoktrinär, nämlich einseitig emanzipatorisch ausgerichtet ist und auf die christliche Sexualerziehung der Eltern keine Rücksicht nimmt
Im sog. Kreuzbeschluß hat das Bundesverfassungsgericht weiter entschieden (BVerfGE 93,1 /17).
„Im Verein mit Art. 6 Abs. 2 S.1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiert, umfasst Art. 4 Abs.1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen.“
Das Bundesverfassungsgericht hat in jenem Fall ein Kreuz an der Klassenzimmerwand als grundrechtswidrigen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht angesehen. Die Beschwerdeführer meinen zu Recht, eine staatliche indoktrinäre emanzipatorische Sexualerziehung stelle einen weit schwerwiegenderen Eingriff in das natürliche Elternrecht dar, als ein stummes Kreuz an der Klassenzimmerwand.
Das Bundesverfassungsgericht mißt mit zweierlei Maß.
2. Die Beschwerdeführer haben sich nicht dagegen gewandt, daß die Evolutionstheorie im Rahmen des Biologieunterrichtes gelehrt wird, wie das Verfassungsgericht irreführend behauptet, sondern die Beschwerdeführer haben sich dagegen gewandt, daß diese Theorie a u s s c h l i e ß l i c h und als wissenschaftlich erwiesen gelehrt wird (S. 19 ff der Beschwerdeschrift). Da die Evolutionstheorie tatsächlich nicht bewiesen ist, müßte die Kreationstheorie ebenfalls - gleichrangig - im naturwissenschaftlichen Bereich gelehrt und nicht unterdrückt werden.
Zu hypnotischen, buddhistischen und esoterischen Unterrichtsinhalten, die das Landgericht als gegeben ansieht, sowie der Verächtlichmachung der Eltern durch Lehrer und Unterrichtsmaterial, die die Beschwerdeführer weiterhin als Verletzung ihres natürlichen Elternrechtes ansehen, hat das Verfassungsgericht keine Stellung genommen.
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Es ist offensichtlich, daß sich das Bundesverfassungsgericht entweder nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit dieser Beschwerde angenommen hat und ihm die entscheidenden Verletzungen des natürlichen Elternrechtes entgangen sind oder daß es sich der generellen Rechtsprechung deutscher Gerichte angepaßt hat. Nach dieser wird - so die Gerichte - durch den staatlichen Unterricht, solange er sich strikt an die Neutralitäts- und Toleranzpflicht hält, kein unzumutbarer Glaubens- und Gewissenskonflikte begründet (BVerfG Nichtannahmebeschluß vom 29.04.03 –1 BvR 436/03 - S. 5). Die Gerichte vermeiden allerdings jegliche Prüfung der Unterrichtsinhalte an dieser Neutralitäts- und Toleranzpflicht. Sie prüfen auch nicht, inwieweit die Unterrichtsinhalte in die Glaubenserziehung der Eltern eingreifen und diese sie in einen unzumutbaren Gewissenskonflikt bringen, wenn ihre Kinder an dem beanstandeten fächerübergreifenden Schulunterricht teilnehmen müssen.