GABRIELE ECKERMANN
RECHTSANWÄLTIN

Wienandstraße 2
63303 Dreieich

an die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Herrn Präsident Dr. Papier, Herrn Dr. Bryde, Herrn Schluckebier,

Datum: 17.08.2009

O f f e n e r  B r i e f
zum Nichtannahmebeschluss vom 21. Juli 2009 (1 BvR 1358/09) zur Teilnahmepflicht von Grund­schülern an der schulischen Sexualerziehung und an der schulischen Fastnachtsveranstaltung

Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Papier,
sehr geehrter Herr Dr. Bryde,
sehr geehrter Herr Schluckebier,

Ihr Nichtannahmebeschluss vom 21. Juli 2009 (1 BvR 1358/09) zur Teilnahmepflicht von Grund­schülern an der schulischen Sexualerziehung zur Vermeidung von sexuellem Mißbrauch von Kin­dern durch Erwachsene mit dem Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir!“ und an der schulischen Fastnachtsveranstaltung gibt Veranlassung zu folgenden Anmerkungen:

1. Die Kammern des Bundesverfassungsgerichts machen es sich offensichtlich zur Gewohnheit, in Nichtannahmebeschlüssen doch sachlich-inhaltlich über die Verfassungsbeschwerde zu entscheiden und solche Nichtannahmebeschlüsse zu Rechtsschöpfungen zu mißbrauchen, wie Ihre Entscheidung vom 21. Juli 2009 nahelegt.

2. Sie haben - das Urteil des Amtsgerichts bestätigend - entschieden, dass die Pflichtteilnahme an dem Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir!“ die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten verletzt und dass das Theaterprojekt verfassungsgemäß ist, obwohl weder vom Amtsgericht noch von Ihnen das Theaterprojekt wenigstens in Leseform zur Kenntnis genommen war.

Für die Entscheidungsfindung haben Sie dies auch offensichtlich nicht für erforderlich gehalten, da das Theaterprojekt nach der Aussage der Zeugin Tuschen (Rektorin der betroffenen Schule) „große Akzeptanz“ in den Schulen gefunden hat (Urteil des AG, S. 9). Auf Grund dieser großen Akzep­tanz stand für das Amtsgericht und Sie fest, dass das Theaterprojekt der Verfassung entspricht und die Beschwerdeführer nicht durch dieses in ihren Grundrechten verletzt sind. Deshalb wurden die Beweisanträge der Eltern, durch die geklärt werden sollte, ob das Theaterprojekt der schulischen Neutralitätspflicht genügt, den Zulassungsbeschränkungen für die staatliche Sexualerziehung (BVerfGE 47,46fff) entspricht und ob es die Kinder nicht zur Pädophilie verführt, nicht zugelassen. Diese begründet das Amtsgericht damit, dass die Beweisanträge nicht „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ seien, zumal sie stark von der eigenen Weltanschauung und Glaubensüberzeugung der Betroffenen geprägt sind“ (Urteil des AG, S.9).

Auf diese Art und Weise kann Wahrheit nach geltendem Recht nicht gefunden werden.

3. Die „große Akzeptanz“ ersetzt auch offensichtlich den Nachweis der Wissenschaftlichkeit des Theaterprojekts „Mein Körper gehört mir!“ (AG Urteil S. 7), ob z. B. das Theaterprojekt überhaupt zur behaupteten Prävention tauglich ist. Nach dem KMK-Beschluss zur Einführung der schulischen Sexualerziehung (06.10.1968, S.1) muss die „Sexualerziehung in der Schule wissenschaftlich fun­diert sein“, und das Bundesverfassungsgericht hat gerade in dieser Wissenschaftlichkeit der staatli­chen Sexualerziehung den wichtigen Unterschied zur elterlichen Sexualerziehung gesehen (BVerfGE 47,46ff).

4. Ob dieses Projekt sexuellem Mißbrauch von Kindern durch Erwachsene vorbeugt, ist zu bezwei­feln.

Den Kindern wird durch das Projekt unmißverständlich vermittelt, dass sie über ihren Körper selbst und ausschließlich zu bestimmen haben. Ihr Gefühl ist der Maßstab für sie, ob sie sexuellen Kontakt mit einem Erwachsenen haben wollen oder nicht, denn „ihr Gefühl hat immer Recht“ - so der „Kör­persong“, der Merk- und Leitsong dieses Projektes ist.

Was ist, wenn das Gefühl des Kindes, das nach diesem Projekt immer Recht hat, ein Ja zum sexuel­len Kontakt mit Erwachsenen hat? Erlaubte Pädophilie, weil das Kind eingewilligt hat?

Was ist mit § 176 StGB, der die Pädophilie, auch die, in die ein Kind eingewilligt hat, unter Strafe stellt?

Ein Jurist aus einem anderen Kontinent, der den „Körpersong“ als deutsches Grundschullied las, urteilte entsetzt: „Ein anarchistisches Lied!“ Das sollte zu denken geben.

5. Die Rechtsschöpfung des Bundesverfassungsgerichts durch diese Nichtannahmeentscheidung ist offensichtlich:

- Die Wahrheit liegt bei der - auch nur behaupteten - Mehrheitsmeinung (AG Urteil S. 9).

- Beweisanträge von Minderheiten, die sich gegen die Mehrheitsmeinung richten, sind der Wahrheitsfindung nicht dienlich und deshalb abzulehnen (AG Urteil S. 9).

Mit dieser Rechtsschöpfung unterhöhlt der Kammerbeschluss letztlich unseren Rechtsstaat.

6. Konsequent in der Anwendung dieser Rechtsschöpfung ist es dann auch, den Beschwerdeführern als einer Minderheit bezüglich der Teilnahme an der schulischen Faschingsveranstaltung den Grundrechtsschutz zu versagen, da die Schulkonferenz auch diese Fastnachtsveranstaltung mehr­heitlich als verbindliche Schulveranstaltung festgelegt hat.

 

Ich appelliere an Ihre Amtspflicht, unsere rechtsstaatliche Verfassungsordnung zu verteidigen und nicht zu untergraben.

Hochachtungsvoll

G. Eckermann