OLG Hamm, Beschluss vom 11.10.2019 - 3 UF 116/19

Tenor

I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, von einer mündlichen Verhandlung nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abzusehen.

II. Den Beschwerdeführern wird aufgegeben, binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses dem Senat mitzuteilen, ob sie bereit sind, außerhalb der Durchsetzung eines Schulbesuchs für eine zeitlich befristete Dauer von einem halben Jahr Jugendhilfemaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Die Beschwerdeführer mögen ergänzend mitteilen, ob sie - zumindest hilfsweise - die Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das Familiengericht beantragen.

III. Der Verfahrensbeiständin und der verfahrensbeteiligten Behörde wird aufgegeben, binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses ergänzend zu der derzeitigen Situation der Kinder zu berichten, insbesondere zu der Durchführung der von den Beschwerdeführern angekündigten Anbindung der Kinder in außerhalb ihrer Kirche angebotenen Freizeiteinrichtungen (Reiten, Orchester, Schach).

IV. Die Beteiligten erhalten Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme zu den Hinweisen des Senats binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

A. Der Senat beabsichtigt gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, weil eine ausführlich protokollierte Anhörung der Beteiligten und der Kinder bereits am 17.06.2019 im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Durchführung derzeit keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

B. Die nach den § 57 Abs. 1 S. 2. Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindeseltern dürfte nach vorläufiger Bewertung des Senats in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg haben.

I. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach - allerdings soweit ersichtlich im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung der Eltern oder der verwaltungsrechtlichen Nichtzulassung einer eigenen Schule - festgestellt, dass die allgemeine Schulpflicht als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags dient (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 27 ff; FamRZ 2006, 1094; NVwZ 2003, 1113 ff.). Dieser Auftrag richte sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG, a.a.O.). Die Schulpflicht stehe zudem in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setze dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlange auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren sei eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule, das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft könne die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern (vgl. BVerfG, a.a.O.).

II. Unter Berufung auf die Verfassungsgemäßheit der Schulpflicht und die obigen Ausführungen hat der Bundesgerichtshof im Rahmen eines die Entziehung von Teilen des Sorgerechts betreffenden Verfahrens festgestellt, dass in der beharrlichen Weigerung von Eltern, ihre Kinder einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um ihnen statt dessen selbst "Hausunterricht" zu erteilen, ein Missbrauch der elterlichen Sorge liegen kann, der das Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB erforderlich macht (vgl. BGH, FamRZ 2008, 45 Leitsatz). Damit hat der Bundesgerichtshof entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer jedenfalls nicht "per se" eine Kindeswohlgefährdung durch die Beschulung außerhalb einer öffentlichen Schule postuliert, auch wenn sich in der Begründung dieser Entscheidung keine näheren Ausführungen zu der konkreten Gefahr für die dort betroffenen Kinder finden. Der Senat übersieht nicht, dass dieser Entscheidung ein Beschluss des 6. Senates für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vorausgegangen ist, in dem tatsächlich allein auf die Verhinderung des Schulbesuchs zur Begründung einer Kindeswohlgefährdung abgestellt worden war. Eine Kindeswohlgefährdung sei bereits darin zu sehen, dass Eltern die für die Kindesentwicklung in einer pluralistischen Gesellschaft so wichtige staatliche Schulerziehung ablehnen und diese verhindern. Weder Elternrecht noch Religionsfreiheit rechtfertige unter Berücksichtigung des Kindeswohls eine Verweigerung der Schulpflicht bei gleichzeitiger Akzeptanz von Heimunterricht, dem staatlichen Erziehungsauftrag komme für das Wohl der Kinder eine derart hohe Bedeutung zu, dass die Vorenthaltung des Schulbesuchs einen Sorgerechtsmissbrauch darstelle (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Februar 2007 - 6 UF 53/06 -, juris). Dieselbe Ansicht vertritt das Oberlandesgericht Frankfurt (FamRZ 2014, 1857 f.), auch wenn in dem dort entschiedenen Fall aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die sorgerechtlichen Maßnahmen aufgehoben worden sind (vgl. hierzu auch OLG Nürnberg, FamRZ 2017, 454 ff.). Andere Oberlandesgerichte haben indes in Fällen der Schulverweigerung - wie es auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 24.06.2019 (Application no. 18925/15, Homepage des EGMR) als erforderlich ansieht - überprüft, ob sich aus dem verweigerten Schulbesuch im Einzelfall Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls, etwa durch fehlende Wissensvermittlung oder fehlenden Erwerb sozialer Kompetenz, ergeben (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 2019, 35 f.; OLG Naumburg, Beschluss vom 02.05.2019, Az.: 3 UF 142/18) und nach Ablehnung von sorgerechtlichen Maßnahmen darauf hingewiesen, dass es den Schulaufsichtsbehörden überlassen bleibe, für eine Beschulung der Kinder zu sorgen.

III. Der Senat musste sich die Frage einer Kindeswohlgefährdung allein durch die fehlende Beschulung in einer öffentlichen Schule bislang noch nicht vorlegen. Denn die vor dem Senat geführten Verfahren zu Fällen der Schulverweigerung betrafen durchgehend Konstellationen, in denen der verweigerte Schulbesuch ein (zusätzliches) Symptom der durch das Erziehungsversagen der Kindeseltern verursachten Kindeswohlgefährdung darstellte, wenn auch die Feststellung der Nichtbefolgung der Schulpflicht jeweils Auslöser der Verfahren war.

1. § 1666 Abs. 1 BGB setzt für ein Einschreiten der Familiengerichte bei Gefährdung des Kindeswohls voraus, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Eine abstrakte Gefährdung reicht für ein familiengerichtliches Einschreiten nach dieser Vorschrift nicht aus. Vielmehr ist Voraussetzung für eine Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB , dass eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Für eine mit der Trennung des Kindes von den Eltern verbundene Sorgerechtsentziehung ist ein elterliches Fehlverhalten in einem solchen Ausmaß erforderlich, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Erforderlich für die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes ist, dass bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, FamRZ 2015, 112). Es ist nicht Zweck der gesetzlichen Regelung, die Ausfluss des staatlichen Wächteramts gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ist, für eine bestmögliche Förderung des Kindes durch seine Eltern zu sorgen. Das Grundgesetz hat die primäre Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt; dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 907 ff. Rz. 18).

2. Unter Anlegung dieses Maßstabes dürfte allein die Verweigerung des Schulbesuchs bei gleichzeitig hinreichender Wissensvermittlung und hinreichender Sorge für die körperliche, kognitive, sprachliche, emotionale und soziale Entwicklung des Kindes (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.) keine Kindeswohlgefährdung, die sorgerechtliche Maßnahmen rechtfertigen würde, begründen. Bereits die Möglichkeit des "Homeschooling" in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern spricht gegen eine generelle Gefährdung des Kindeswohls. Insofern weist zwar das Oberlandesgericht Frankfurt zu Recht darauf hin, dass das zulässige System der Heimbeschulung in anderen europäischen Ländern Vorgaben hinsichtlich des Lernstoffs, Lernstandskontrollen und regelmäßige Überprüfungen der Qualität des Heimunterrichtes ermöglicht und ein Vergleich zu der rechtlichen Situation in Deutschland daher nicht möglich ist (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.). Diese Aspekte betreffen indes lediglich die Wissensvermittlung und gerade nicht die soziale Anbindung und die Persönlichkeitsentwicklung, auf die die unter Ziffer II. genannten Entscheidungen als ebenfalls wesentlich abstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung könnten effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG, a.a.O.). Danach ist der Schulbesuch durchaus als "bestmögliche" Förderung des Kindes anzusehen. Dem schließt sich der Senat auch uneingeschränkt an. Dies schließt aber eine Förderung der vg. Kompetenzen und Eigenschaften durch andere adäquate Maßnahmen nicht schlechthin aus. Die Durchsetzung der "bestmöglichen" Förderung des Kindes ist indes über sorgerechtliche Maßnahmen gerade nicht möglich, es ist - auch soweit der Schulbesuch betroffen ist - hinzunehmen, dass das Kind Nachteile durch das elterliche Verhalten erleidet. Dass ihren Kindern in der Zukunft Nachteile drohen, weil potentielle Arbeitgeber oder Ausbildungsbetriebe vor dem Hintergrund des eben nicht zugelassenen Heimunterrichts (unabhängig von durch externe Prüfungen nachgewiesenen Wissens) erhebliche Bedenken gegen die Integrationsfähigkeit, die Zuverlässigkeit und die soziale Kompetenz ihrer Kinder haben werden und die Kinder möglicherweise keine ihrer Leistungsfähigkeit und ihren Neigungen entsprechende Tätigkeit werden aufnehmen können, wird den Kindeseltern wohl bewusst sein und wird von ihnen offenbar in Kauf genommen. Die vom Bundesverfassungsgericht und dem Oberlandesgericht Hamm (jeweils a.a.O.) zudem herangezogenen Aspekte des Gemeinwohls können ausschließlich am Kindeswohl orientierte sorgerechtliche Maßnahmen dagegen ohnehin nicht rechtfertigen. Es ist nach alledem auch nach Ansicht des Senats im Einzelfall zu prüfen, ob sich aus dem fehlenden Schulbesuch eine Gefährdung des Kindeswohls ergibt.

IV. Eine Beantwortung der grundsätzlichen Frage einer Gefährdung des Kindeswohls ausschließlich aufgrund der Verweigerung der Schulpflicht hat das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich offengelassen, da es ohnehin zu dem Ergebnis gekommen ist, auch unter Anlegung der von den Beschwerdeführern geforderten Maßstäbe sei das Wohl der vorliegend betroffenen Kinder erheblich gefährdet. Aus dem Inhalt der Anhörungen der betroffenen Kinder und der Beteiligten hat das Familiengericht den Schluss gezogen, die Kinder würden durch die Kindeseltern isoliert und von äußeren Einflüssen abgekapselt und zudem in ihrer Entwicklung einer selbstbewussten und verantwortungsvollen Persönlichkeit behindert, da ihnen eigene Entscheidungen nicht zugestanden würden, eine eigene Reflektion finde nicht statt. Laura sei angesichts des fehlenden Zeitdrucks im Rahmen des "Homeschooling" auch nicht ansatzweise in der Lage, sich in einem Ausbildungsverhältnis zurechtzufinden und die dort gestellten Anforderungen zu erfüllen.

Es ist nach dem Bericht des Jugendamtes, der Verfahrensbeiständin und auch den Angaben der Kinder nicht zu übersehen, dass die Kinder in einem vergleichsweise strengen und auch reglementierten Elternhaus aufwachsen. Es erscheint dem Senat allerdings nicht ungewöhnlich oder unangemessen, wenn Kinder erklären, erforderlich werdende Entscheidungen würden von ihren Eltern getroffen. Vielmehr ist es ein wesentliches Element der elterlichen Sorge, wichtige Entscheidungen im Leben eines Kindes zu treffen. Dass die Kinder innerhalb des ihnen gesteckten Rahmens keine eigenen Entscheidungen treffen könnten, ergibt sich aus ihren weiteren Äußerungen indes nicht. Die Kinder entscheiden - unter Beachtung der ihnen gesetzten Grenzen - über ihre Internetnutzung, über ihre Freizeitgestaltung, ihre Freunde, ihre Kleidung und nicht zuletzt ab einem bestimmten Alter über ihre Lerneinhalte und ihr Lerntempo. Es ist nicht ersichtlich, dass andere Kinder (bis zu einem gewissen Alter) mehr Entscheidungsfreiheit genießen, auch wenn die Grenzen der hier betroffenen Kinder möglicherweise enger oder jedenfalls anders gesteckt sind. Auch andere Eltern entscheiden indes über den Tagesablauf ihrer Kinder, den Inhalt der von ihren Kindern besuchten Internetseiten, den Fernsehkonsum, die Bekleidung oder auch die möglicherweise sonst ungünstige Auswahl der Freunde ihrer Kinder. Soweit man also die elterliche Fürsorge vorliegend als "unterdrückend" betrachtet, bedeutet dies letztlich den Inhalt der für die Kinder durch die Kindeseltern getroffenen Entscheidungen zu kritisieren. Dies steht dem Gericht allerdings nicht zu, auch wenn die Schwierigkeiten von Laura und Elisabeth während ihres Schulbesuchs möglicherweise aus ihrer anderen Bekleidung und ihrer anderen Lebensführung resultierten. Insofern wäre jedoch nicht von einem elterlichen, sondern von einem schulischen Versagen auszugehen. Denn an der von dem Bundesverfassungsgericht vorausgesetzten "gelebten Toleranz" hätte es in diesem Fall gefehlt. Der Senat übersieht nicht, dass eine eigene Anhörung der Kinder möglicherweise einen deutlich anderen Eindruck vermittelt als ein nachträgliches Studium der von den Kindern gemachten Äußerungen. Zu Recht weisen die Beschwerdeführer aber darauf hin, dass dem Familiengericht (wie auch dem Senat) die Sachkunde fehlen dürfte, die bisherigen Auswirkungen der von den Beschwerdeführern an ihrem Glauben ausgerichteten Erziehung auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder abschließend zu beurteilen.

Die Gefahr, die das Familiengericht in dem fehlenden Zeit- und Leistungsdruck bei dem durch die älteren Kinder selbstbestimmten Heimunterricht sieht, vermag der Senat zwar grundsätzlich zu teilen. Allerdings entspricht diese Arbeitsweise den pädagogischen Ansätzen auch der Montessori- und der Waldorfschulen, die auf Benotung bis zur Oberstufe verzichten und die Kinder Inhalt und Lerntempo in vieler Hinsicht selbst bestimmen lassen. Diese Schul- und Erziehungsformen sind als staatliche Ersatzschulen anerkannt, obwohl für die dort beschulten Kinder der Eintritt in ein späteres Berufsleben sicher erschwert wird. Dies vermag also eine sorgerechtliche Maßnahmen auslösende Kindeswohlgefährdung kaum zu begründen.

Erhebliche Bedenken, die die Kindeseltern bisher nicht ausräumen konnten, hat der Senat indes im Hinblick auf die von dem Familiengericht festgestellte Isolation von Menschen außerhalb der Kirche der Familie. Der Musikunterricht findet zwar außerhalb des Elternhauses aber ohne Beteiligung anderer Kinder statt. Soweit Laura in der Anhörung erzählt, mittlerweile seien täglich etwa 12 Kinder bei ihnen zuhause, vermag der Senat - auch die Richtigkeit dieser Angabe unterstellt - mangels Erkenntnisse über Alter und Herkunft der Kinder nicht zu erkennen, dass damit das von der Rechtsprechung geforderte Erlernen sozialer Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, einer gelebten Toleranz, von Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung verbunden ist. Hinsichtlich der Anbindung der Kinder in organisierteren Freizeitgestaltungen außerhalb der Kirche wie Reiten, Tennis etc. liegt bisher nur ein Lippenbekenntnis der Kindeseltern vor, ohne dass sich eine Bestätigung aus den im Beschwerdeverfahren zur Akte gereichten Berichten ergibt.

Letztlich bleibt aber festzustellen, dass es für eine nicht nur oberflächliche Beurteilung möglicher sich aus der fehlenden Regelbeschulung ergebender kindeswohlgefährdender Umstände einer sachverständigen Begutachtung bedarf, die auch die Ermittlung des bisherigen Wissenstandes umfasst. Die Nichteinholung eines solchen Gutachtens durch das Familiengericht stellt einen schweren Verfahrensfehler dar, der ein umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich macht, so dass auf Antrag eines Beteiligten die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen wäre.

V. Die Ergänzungspflegerin hat zwischenzeitlich mit den Kindeseltern erörtert, ob mit einer Jugendhilfemaßnahme ein Umdenken hinsichtlich der Beschulung der Kinder in einer Regelschule erreicht werden kann und hat berichtet, dass ohne Zwangsmaßnahmen ein Schulbesuch wohl nicht durchgesetzt werden kann. Sowohl die Verfahrensbeiständin als auch das Jugendamt als verfahrensbeteiligte Behörde haben auch vor diesem Hintergrund bekundet, die Durchführung der familiengerichtlichen Anordnung gefährde das Kindeswohl wegen des inzwischen auch verfestigten Kindeswillens mehr als der unterlassene Regelschulbesuch. Ein erfolgreiches Hineinwachsen in die Gesellschaft könne bei dem erforderlichen Zwang gegen den Willen der Kinder nicht erreicht werden. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass eine Fortdauer des Entzugs von Teilen der elterlichen Sorge nicht verhältnismäßig ist. Denn der Entzug auch von Teilen der elterlichen Sorge setzt voraus, dass die zu treffenden Maßnahmen auch geeignet sind, der drohenden oder bereits eingetretenen Gefahr zu begegnen (vgl. BGH, FamRZ 2012, 99 ff.). An der Eignung fehlt es nicht nur, wenn die Maßnahme die Gefährdung des Kindeswohls nicht beseitigen kann, vielmehr ist sie auch dann ungeeignet, wenn sie mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls einhergeht und diese durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr nicht aufgewogen werden (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Hamm, FamRZ 2007, 1677; OLG Frankfurt, a.a.O.). Der Senat kann die mit der unterlassenen Regelbeschulung einhergehende Gefahr für das Wohl der betroffenen Kinder bisher allerdings - wie ausgeführt - nicht abschließend beurteilen. Insbesondere eine Isolation der Kinder mit der Folge des Fehlens sozialer Kompetenz und eine strikte Abgrenzung von der nicht zu der Kirche gehörenden sozialen Gemeinschaft und eine daraus resultierende fehlende Kenntnis oder Auseinandersetzung mit anderen Lebensanschauungen erscheint dem Senat als erhebliche Gefährdung. Soweit sich allerdings aus den Berichten der Verfahrensbeiständin oder des Jugendamtes eine Anbindung der Kinder an Freizeiteinrichtungen außerhalb der Kirche ergäbe oder die Kindeseltern - bestenfalls - im Hinblick auf die vorstehenden Aspekte vorübergehend eine Unterstützung durch eine Familienhilfe annehmen würden, könnte sich der Senat der Ansicht der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes mit der Folge der bloßen Abänderung der angefochtenen Entscheidung anschließen.

Lediglich ergänzend und vorsorglich weist der Senat daraufhin, dass eine nur abändernde Entscheidung des Senats zum elterlichen Sorgerecht keinen Einfluss auf die Ahndung der mit der Nichterfüllung der Schulpflicht verbundenen Ordnungswidrigkeiten nach dem SchulG NW haben oder eine (weitere) Maßnahmen der Schulbehörden hindernde "Erlaubnis" für die Schulverweigerung darstellen wird.