Eltern droht Zwangsgeld und Entzug des Sorgerechts
Kongress für Familien, die ihre Kinder in keine staatliche Schule schicken wollen - Homeschool-Bewegung wächst
Wäre Jörg Großelümern Schausteller oder Binnenschiffer, dann hätte er mit den Schulbehörden vermutlich gar keine Probleme. Aber der im öffentlichen Dienst beschäftigte Software-Spezialist aus dem Nürnberger Land kann schließlich nicht mit einem Karussell oder auf einem Frachtkahn durch die Lande ziehen, nur weil er und seine Frau die Tochter auf keinen Fall in eine staatliche Schule schicken wollen, sondern zu Hause unterrichten möchten. Wäre die Familie ständig unterwegs, dann könnte sie wie viele andere Familien in dieser Situation das amtlich anerkannte Material der Deutschen Fernschule (df) einsetzen. So aber steht den Großelümerns ein langer Konflikt mit den Behörden bevor. Ein Zwangsgeld-Bescheid flatterte bereits ins Haus. Jetzt liegt der Fall auf dem Schreibtisch von Kultusministerin Monika Hohlmeier.
Der 41-jährige Jörg Großelümern hat seine Geschichte auf einem internationalen Kongress des Vereins Schulunterricht zu Hause (Schuzh) zum so genannten Homeschooling im Aufseßsaal des Germanischen Nationalmuseums vorgetragen. Zwischen 20 und 30 andere Familien im Freistaat weigern sich aus Gewissensgründen, ihre Kinder in eine staatliche Schule zu schicken. In Österreich, der Schweiz oder Holland werden den Betroffenen keine Steine in den Weg gelegt, im Gegenteil, sie werden tatkräftig unterstützt. In Bayern ist die Drangsal dagegen groß. Es drohen Polizeivorführung oder Sorgerechtsentzug. So weit kam es bei der Familie aus dem Nürnberger Land noch nicht. Ihr droht bisher lediglich die Vollstreckung des Zwangsgeldes in Höhe von 1000 Euro. Seit September 2003 sollte die Tochter eigentlich schon zur Schule gehen. „Wir informieren das zuständige Landratsamt über alle Schritte und erklären unsere Haltung“, sagt der Vater, „eine Eskalation wollen wir verhindern.“ In eine staatliche Schule will das Ehepaar Großelümern ihr Kind aber unter keinen Umständen lassen. Ihr Verständnis des christlichen Glaubens verbietet ihnen das. „Wenn es sein muss, gehen wir bis vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.“
Wie fast alle seine Gesinnungsfreunde stößt sich das Ehepaar etwa am üblichen Sexualkundeunterricht in der Grundschule. „So etwas gehört in die Familie“, meint der 41-Jährige. Einen Verstoß gegen den „biblischen Wertekanon“ sieht er auch in der Beschäftigung der Kinder mit „okkulten Entspannungsübungen, Fantasiereisen oder Mandala-Ausmalen“.
Außerdem komme der Schöpfungsbericht des Alten Testaments gegenüber der Evolutionslehre zu kurz. „Wir möchten, dass unser Kind von der Haltung der Eltern geprägt wird, und nicht von den Meinungen schlechter Bekanntschaften oder Cliquen. Man weiß ja, was an den Schulen alles passiert — viel Gewalt und Drogen.“
Zu den Glaubensgründen kommen aber längst ganz handfeste pädagogische Vorteile des Hausunterrichts hinzu. Jörg Großelümern: „Wir können unsere Tochter sehr individuell fördern. Ich will, dass ihre Lernfreude erhalten bleibt. Es ist schön zu sehen, welche Fortschritte sie ohne sturen Lehrplan macht.“
In die Ecke von „Fundamentalisten oder Spinnern“ wollen sich die Eltern deshalb nicht drängen lassen. Sie sprechen lediglich von einer Diskrepanz zwischen staatlicher und elterlicher Erziehung. Die daraus entstehenden Konflikte wollen sie ihrem Kind ersparen. „Ansonsten leben wir hier ganz normal, unsere Tochter ist im Sportverein, wir sind nicht isoliert.“
Unterstützung bekam die Familie auf dem Kongress von Georg Pflüger, dem Leiter der staatlich zugelassenen Deutschen Fernschule. Sie betreut rund 560 deutsche Grundschüler im Ausland, deren Eltern keine andere Möglichkeit haben, ihre Kinder in eine Schule zu schicken. Pflüger setzte sich im Kultusministerium für das Anliegen der Familie ein. „Das selbst bestimmte, individuelle Lernen hat eine große Zukunft,“ sagt der Schulleiter, „die Homeschool-Bewegung hat dabei eine gewichtige Stimme.“
Jörg Großelümern baut auf die Hilfe der df. Hätte er Erfolg, wäre das eine Premiere im Freistaat. „Es ist doch wohl nicht möglich, dass wir mit Schulschwänzern gleichgesetzt werden. Die Maßnahmen des Staates gegen uns und andere stammen doch aus der Requisitenkammer totalitärer Regime. Einer Demokratie sind sie einfach unwürdig.“ Wenn gar nichts anderes übrig bleibt, will die Familie das Land notfalls ganz verlassen.