Mit rechtsstaatlich zweifelhaften Methoden: Fünfzehnjährige wegen Hausunterrichts in die Psychiatrie gesteckt

Presseerklärung vom 08.02.07 zur Zwangspsychiatrisierung in Erlangen

Mit rechtsstaatlich zweifelhaften Methoden: Fünfzehnjährige wegen Hausunterrichts in die Psychiatrie gesteckt

Weil sie, statt auf eine Berufsschule zu gehen, sich zu Hause auf ihr Abitur vorbereitete, wurde am am 1. Februar 2007 eine fünfzehnjährige Schülerin aus Erlangen, Bayern, per Eilverfahren in eine jugendpsychiatrische Einrichtung eingewiesen.

Der Zwangspsychiatrisierung von Melissa B. war eine über fünfmonatige Auseinandersetzung zwischen dem Erlanger Jugendamt, dem dortigen Amtsgericht und den Eltern des Mädchens vorausgegangen. Darin ging es um die Frage der geeigneten Beschulung.

 

Ungenügende Leistungen in Latein und Mathematik hatten nämlich Melissa B. nicht die Versetzung in die achte Klasse schaffen lassen. Um einer problematischen neuen Lehrsituation zu entgehen und die Vielzahl von Stundenausfällen zu vermeiden, griffen die Eltern zur Selbsthilfe.

 

Im Sommer 2005 nahmen sie Melissa von der Schule und unterrichteten sie fortan zu Hause selber. Nur am Musikunterricht und am Schulchor nahm die ehemalige Gymnasiastin noch teil. "Das wollte sie selber so", erläutert Hubert B., der Vater des ehrgeizigen Mädchens. Die Beziehungen zu ihren Klassenkameradinnen behielt Melissa bei. "Unsere Tochter geht einmal die Woche schwimmen, trifft sich regelmäßig mit ihren Freundinnen", ergänzt die Mutter, Gudrun B., "und besucht anspruchsvolle Kurse an der Volkshochschule in Englisch und Französisch." Die letzten Sommerferien verbrachte die aufgeweckte Fünfzehnjährige mit einer Vorliebe für Musik bei Verwandten in Australien.

 

Schule und Schulamt jedoch spielten da nicht mit. Der Besuch des Gymnasiums wurde verboten, höchstens Hauptschulniveau war jetzt noch erlaubt. Im August 2006, nach Ablauf der Vollzeitschulpflicht, schaltete sich auch das Jugendamt ein. Und mit ihm das Amtsgericht. Der Druck auf die Familie wurde verschärft, gerade auch, weil die Eltern den Unterricht in den eigenen vier Wänden nicht aufgeben wollten.

 

Melissa hat noch fünf Geschwister, die alle auf eine staatliche Schule gehen. Noch am 23. Dezember 2006 war Familie B. in der Tageszeitung "Erlanger Nachrichten" als selten gewordene Vorzeigefamilie am Adventskranz abgebildet worden. Das Blatt damals: "Familien in dieser Größe sind nur noch unter der Ein-Prozent-Marke zu finden." Freilich konnte niemand ahnen, daß das Familienidyll gut einen Monat später gewaltsam zerstört werden würde.

 

Jetzt ist Melissa mit depressiven Jugendlichen und anderen psychisch Kranken zusammen unter einem Dach. Denn eine Erlanger Amtsrichterin entzog den Eltern in einem Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung das Sorgerecht für ihre Tochter. Und stützte sich dafür auf ein psychologisches Sachverständigen-Gutachten vom Klinikum Nürnberg. Darin wurde Melissa attestiert, daß sie "seit mindestens einem Jahr von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand" abweiche. Worin ein solcher "typischer Zustand" von Fünfzehnjährigen besteht oder zu bestehen habe, wurde nicht gesagt. Weitere verwendete Begriffe wie "emotionale Störung", "Schulphobie" und "Selbstwertproblematik" bezeichnen kaum mehr, als was viele Heranwachsende in einer Umbruchszeit typischerweise an sich erleben. Das Gutachten selber wird bislang den Eltern vorenthalten. Gegen einen Entzug des Sorgerechts, der auf einer solchen Einschätzung beruht, gibt es denn auch erhebliche rechtliche Bedenken.

 

Der Wert jenes Gutachtens ist nicht zuletzt deshalb fraglich, weil es in einer Schocksituation zustandegekommen ist: Das Mädchen war ohne Ankündigung am 30. Januar 2007 morgens von Jugendamt und Polizei zum Klinikum Nürnberg abgeholt. Über jene Zwangsanhörung existiert ein zeitnaher Bericht der Betroffenen, den Melissa jedoch nicht mehr fertigstellen konnte. Zwei Tage später wurde sie erneut von Polizeikräften abgeholt, diesmal endgültig.

 

In einem weiteren Beschluß des Amtsgerichtes vom Tag der Abholung wurde den Eltern unter Androhung eines Zwangsgeldes von 10.000 Euro verboten, Melissa über die deutsche Grenze zu bringen. Offensichtlich soll diese Maßnahme Auswanderungspläne der Familie durchkreuzen. Die hatte mit Beginn der Schwierigkeiten erwogen, in Erlangen die Koffer zu packen.

 

"Was erstaunt, ist die Schnelligkeit und Härte des staatlichen Zugriffs", kommentiert Rechtsanwalt Armin Eckermann, Vorsitzender des Vereins "Schulunterricht zu Hause e.V.", die Vorgänge in Erlangen. Hausunterricht statt öffentlichen Schulbesuches stelle keine automatische Kindeswohlverletzung dar. Das Gericht habe längst nicht alle Aufklärungsmittel ausgeschöpft, die ihm in einem solchen Fall zur Verfügung stünden. Stattdessen sei es völlig überstürzt und unter mißbräuchlicher Zuhilfenahme rechtsstaatlich zweifelhafter Methoden zur Tat geschritten.

 

„Die Vorgehensweise von Gericht und Jugendamt“, so Eckermann weiter, „sind mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren.